Es gibt wohl kaum einen Mar­keter auf dieser Welt, der noch nicht von Club­house gehört hat. Der Hype um das neue Social Net­work ist riesen­groß. Täglich wer­den hun­derte Blog-Artikel über die App hochge­laden – man ertrinkt förm­lich in ein­er Flut aus Infor­ma­tio­nen und Mei­n­un­gen. Auch ich habe eine Ein­ladung zu Club­house bekom­men (Danke, Chef!) und das neue Net­zw­erk aus­giebig getestet. Mein Faz­it? Erst­mal der Rei­he nach.

Was ist Clubhouse?

Zum Ver­ständ­nis: Club­house ist ein soziales Net­zw­erk, das wie eine Art Live-Pod­­cast oder Massen-Tele­­fonkon­ferenz funk­tion­iert. Der Aus­tausch in der App erfol­gt auss­chließlich über das gesproch­ene Wort. Es wer­den Gespräch­srun­den, so genan­nte „Rooms“, zu unter­schiedlich­sten The­men ges­tartet. Mod­er­a­toren eröff­nen eine Gespräch­srunde, Inter­essierte kön­nen zu einem beliebi­gen Zeit­punkt in die Runde ein­steigen, zuhören und mit­disku­tieren. Wer keinen Bock mehr hat, kann ganz ein­fach wieder aussteigen. In den Rooms gibt es also drei Möglichkeit­en: 1. Man mod­eriert den Room selb­st und ist damit Impuls­ge­ber und Leit­er des Gesprächs. 2. Man ist stiller Zuhör­er. 3. Man bringt sich ein und plaud­ert mit. Der Hak­en: In das Net­zw­erk kommt nur, wer eine Ein­ladung dazu erhal­ten hat. Keine Ein­ladung, kein Zugang. Mit­tler­weile bieten einige Club­­house-User die dig­i­tal­en „Invites“ sog­ar für mehrere hun­dert Euro auf Ebay und Co. an. Ein weit­er­er Stolper­stein: Bish­er gibt es die App auss­chließlich fürs iPhone. Eine Android-Ver­­sion ist laut den Mach­ern von Club­house bere­its in der Pipeline.

Clubhouse aus Marketing Sicht

Warum über­haupt die ganze Aufre­gung um Club­house? Ganz ein­fach: Auf der App tum­meln sich Mar­ket­ing- und Medi­en­größen, Pop­stars, Mod­els, Fit­nes­s­ex­perten, Wis­senschaftler – und bish­er eher weniger Leute wie „du und ich“. Es beste­ht die Möglichkeit, sich mit Per­so­n­en zu ver­net­zen, mit denen man im „echt­en“ Leben niemals in Kon­takt kom­men würde. Plöt­zlich ist man im Chat mit Schaus­piel­er Elyas M’Barek, Mod­er­a­tor Joko Win­ter­schei­dt oder Mod­el Ste­fanie Giesinger. Auf anderen sozialen Net­zw­erken wie Insta­gram oder Face­book ist es schi­er unmöglich, ein­fach mal lock­­er-läs­sig mit so vie­len ver­schiede­nen, wom­öglich berühmten Per­sön­lichkeit­en zu plaud­ern. Dieser „Ich-muss-unbedingt-auf-die-App-weil-ich-will-mitreden“-Effekt, wird durch die exk­lu­siv­en Invites zusät­zlich ver­stärkt. Denn: Exk­lu­siv­ität forciert Hype. Nicht jed­er kann auf die App. Mit­glieder ver­fü­gen lediglich über eine begren­zte Anzahl an Ein­ladun­gen, die sie an ihre Fre­unde ver­schick­en kön­nen. So wurde seit der Ein­führung der App im April 2020 ein Mys­teri­um um die Plat­tform erzeugt. Mit­tler­weile wollen immer mehr Men­schen mit­mis­chen. Die Mar­keter bei Club­house haben mit dieser Strate­gie also den Nagel auf den Kopf getrof­fen.

Clubhouse im Test – erste Schritte

Glück­licher­weise bin ich ein kleines Kon­sumopfer und besitze ein aktuelles iPhones. Die erste Zugangsvo­raus­set­zung habe ich also erfüllt. Einen Invite habe ich dank Flo­ri­an auch in der Tasche. Also los geht’s.

Der Ein­stieg ist sim­pel: Die App öffnet sich und ein ganz nor­males Login-Prozedere, wie man es von anderen Socials ken­nt, begin­nt. E‑Mail-Adresse, User­name, richtiger Name, Pro­fil­fo­to – pi pa po. Was mir gle­ich auf­fällt: Die App ist englis­chsprachig. Ein Umstellen auf Deutsch ist nicht möglich. Ich spreche sehr gut englisch, daher ist das für mich kein Prob­lem. Im näch­sten Schritt wird es schon span­nen­der. Ich soll meine Inter­essen angeben. Dabei kann ich aus ein­er rel­a­tiv lan­gen, vordefinierten Liste wählen. Darunter zum Beispiel „Insta­gram“, „Veg­an­ism“, „Out­door“, „Cur­rent Events“, „Star­tups“ oder „Rela­tion­ships“. Auch zwis­chen ver­schiede­nen Reli­gio­nen, Sprachen und sog­ar Gen­er­a­tio­nen kann man wählen. Ich kreuze ein paar Sachen an und weit­er geht’s. Als näch­stes poppt eine Liste mit Leuten, denen ich fol­gen kön­nte, auf. Unter rund 50 Gesichtern, ent­decke ich ger­ade ein­mal eine hand­voll, die mir bekan­nt vorkom­men. Darunter Men­schen, die ich von der Arbeit kenne und ein paar Bekan­nte.  Na dann – fol­low, fol­low und nochmal fol­low. Die App-Ober­fläche öffnet sich und der Spaß begin­nt.

Clubhouse Rooms – Zuhören, interagieren, gehen

Auf der Start­seite wird mir ein Feed mit unter­schiedlichen Rooms angezeigt. Nach kurzem Durch­stöbern zögere ich nicht lange und öffne den ersten Gespräch­sraum. Er trägt den Namen „Kaf­fee ans Bett, Insta­gram Check“.  Klingt nicht schlecht. Es öffnet sich ein Chat­fen­ster mit 53 Leuten, zwei davon unter­hal­ten sich angeregt. Ich sehe nie­man­den, aber ich höre unter­schiedliche Leute miteinan­der reden. Die Speak­er besprechen das The­ma Geld ver­di­enen mit Social Media in unter­schiedlichen Teilen der Welt. Eine Weile lang höre ich zu, dann wird es mir zu fad. Wie man aus dem Room aussteigt? Im Chat gibt es den But­ton „Leave qui­et­ly“, zu deutsch „im Stillen verlassen/gehen”. Also gehe ich. Zwei Scrolls später öffne ich den näch­sten Room, „24 Hour Vibes: Intro­duce Your­self“. Im ersten Moment reden gefühlt zehn Men­schen auf Englisch durcheinan­der. Ich will schon wieder aussteigen, bleibe aber noch ein biss­chen. Viele Leute reden über viele, sehr belan­glose Dinge. Irgend­wann füh­le ich mich fehl am Platz. Plöt­zlich meint ein­er im Chat: „I’m high as a moth­er­fuck­er, I be smok­ing weed all day.” Spätestens jet­zt weiß ich: Alles klar, Zeit zu gehen!

Alle guten Dinge sind bekan­ntlich drei – auf in einen weit­eren Room. Ich steige bei „Fit­ness­mythen aufgek­lärt – Q&A“ ein. Sport ist ein The­ma, das mich in mein­er Freizeit sehr inter­essiert. Hört sich also gut an. Ich nehme meinen Mut zusam­men und ver­suche mich am inter­ak­tiv­en Teil der App. Ein But­ton im Chat erlaubt es mir meine Hand zu heben. Wie in einem Klassen­z­im­mer. Das sig­nal­isiert den Mod­er­a­toren, das ich sprechen möchte. Es dauert nicht lange, da werde ich schon kurz anmod­eriert: „Es möchte noch jemand was sagen. Ele­na, wir schal­ten dich gle­ich frei. Stell dich doch kurz vor und frag dann ein­fach drauf los.“ Gesagt, getan. Ich darf meine Frage stellen und bekomme kurz darauf eine super Antwort von einem der Mod­er­a­toren. Außer­dem ent­decke ich die Funk­tion, einen Fre­und ins Gespräch zu „pin­gen“. Sprich: Einem Fre­und auf Club­house eine Benachrich­ti­gung a la „Hey Kumpel, komm in dieses geile Gespräch, das musst du dir anhören!“ zu schick­en. Eigentlich ganz cool das Ganze!

Clubs, Kalender und Clubhouse Invites

Genug zuge­hört, jet­zt wird die App weit­er erkun­det. Ich klicke und scrolle intu­itiv, brauche allerd­ings etwas, um mich zurecht zu find­en. Gar nicht so leicht, denn es erscheint alles etwas unüber­sichtlich. Nach ein paar Minuten finde ich her­aus, dass ich nicht nur Einzelper­so­n­en, son­dern auch ver­schiede­nen Grup­pen fol­gen kann. Zum The­ma „Tik­Tok“ gibt es eine, die sich „Tik­Tok Cre­ator Club“ nen­nt. Um die 4.500 Mit­glieder zählt die Gruppe, in der Con­­tent-Ersteller und alle Inter­essierten sich regelmäßig und in unter­schiedlichen Club­house Rooms über Tik­Tok aus­tauschen. Ich folge ein paar dieser „Clubs“ und bemerke gle­ich, dass sich dadurch an meinem Feed etwas ändert. Nun wer­den mir ganz oben die näch­sten Gespräch­srun­den inner­halb mein­er Grup­pen angezeigt. Zusät­zlich gibt es in der Nav­i­ga­tion einen Kalen­der. Auch hier wer­den mir Diskus­sion­srun­den angezeigt, die noch am sel­ben Tag stat­tfind­en. Der Kalen­der lässt sich per­son­al­isieren. Mit der Anzeigene­in­stel­lung „Upcom­ing for you“ wer­den alle Talks angezeigt, die in den von mir abon­nierten Grup­pen stat­tfind­en, oder die inner­halb mein­er Inter­essen liegen. Mit der Ein­stel­lung „All Upcom­ing“ wer­den mir sämtliche Club­house Gespräch­srun­den präsen­tiert. In „My Events“ würde es mir meine Rooms anzeigen, wenn ich welche hätte. Ein tolles Extra: Die Ter­mine zu den Gespräch­srun­den lassen sich auf den Kalen­der am Smart­phone run­terziehen. Auf diese Weise wird kein inter­es­santes Gespräch ver­passt. Eigentlich würde ich gerne einzel­nen Rooms fol­gen kön­nen, ohne den Mod­er­a­toren des Rooms fol­gen zu müssen. Das scheint jedoch noch nicht möglich zu sein. Gibt es eine wiederkehrende Gespräch­srunde, die einem gefällt, muss man zumin­d­est einem der Speak­er fol­gen und auf dem Pro­fil der Per­son die Glocke aktivieren. Wer die Glocke aktiviert, bekommt jedes Mal, wenn die Per­son einen Talk abhält, eine Push-Benachrich­ti­­gung aufs Smart­phone. Zusät­zlich sind alle Aktiv­itäten in der Nav­i­ga­tion der App abruf­bar.

Am Ende mein­er Erkun­dungs­tour durch die Club­­house-App möchte ich jemand anderem eine Ein­ladung schick­en. Müsste als Mit­glied doch eigentlich klap­pen, oder? In meinem Club­­house-Post­­fach heißt es, ich kann zwei Ein­ladun­gen versenden. Anschließend muss ich mir weit­ere Ein­ladun­gen durch Inter­ak­tion und Zeit in der App „erar­beit­en“. Mein erstes Faz­it nach zwei Stun­den Club­house: Etwas gewöh­nungs­bedürftig, für den ein oder anderen sich­er viel zu unüber­sichtlich aber: Cooles Feel­ing. Wie Pod­cast hören, nur live. Mal schauen, was sich noch so tut.

Vier Wochen auf Clubhouse – mein abschließendes Fazit

Mit­tler­weile sind vier Wochen um. Ich bin öfters auf Club­house unter­wegs, habe in eini­gen Rooms Diskus­sio­nen ver­fol­gt und weiß, wie es funk­tion­iert. Meine abschließende Mei­n­ung: Ich bin im Zwies­palt und ver­ste­he den Hype nur teil­weise.

Geniales Vernetzungstool

Auf der einen Seite finde ich das Konzept hin­ter Club­house richtig genial. Ein riesiger, inter­ak­tiv­er Live-Pod­­cast zu ver­schiede­nen The­men bei dem jed­er mitre­den kann. Ide­al, um sich zu ver­net­zen, neue Dinge zu ler­nen und sich in ein­er span­nen­den Gespräch­srunde mit Leuten auf der ganzen Welt zu unter­hal­ten. Wenn man Glück hat, sog­ar mit der ein oder anderen bekan­nteren Per­sön­lichkeit. Auch der Zeit­punkt des Launch­es war äußerst gut gewählt. Wir steck­en inmit­ten ein­er Pan­demie, hock­en größ­ten­teils zu Hause und switchen zwis­chen densel­ben drei Apps hin und her. Da kam eine neue Plat­tform, die frischen Wind in unseren Social-Media-All­t­ag bringt, ger­ade recht.

Elitärer Beigeschmack

Auf der anderen Seite finde ich Club­house ziem­lich „sno­bis­tisch“. Jed­er zweite auf der Plat­tform ist Entre­pre­neur, Influ­encer, Man­ag­er oder irgen­dein selb­st ernan­nter Experte. Die meis­ten sprechen nur über sich und „ihre Bub­ble“. Sie sind alle am „dauer­hus­tlen“ und tauschen sich über „mega span­nende oppor­tu­ni­ties“ aus. Anglizis­men und neu­modis­che Begriffe wer­den infla­tionär herumge­wor­fen und der Cool­­ness-Fak­­tor scheint über allem zu ste­hen. Eben Bul­l­shit-Bin­­go vom Aller­fe­in­sten. Eine weit­ere Sache, die mir aufge­fall­en ist: Leute in meinem Alter und auch Mod­er­a­torin­nen, musste ich krampfhaft suchen. Die meis­ten Speak­er sind um die 30 Jahre alt und männlich. Wenn weib­liche Impuls­ge­ber in der Runde sind, wer­den sie oft von ihren männlichen Kol­le­gen übertönt. Und zu guter Let­zt, finde ich es ein wenig frag­würdig, eine App nur ver­meintlich „beson­deren“ oder bess­er ver­net­zten Leuten zu Ver­fü­gung zu stellen. Du hast keine Con­nec­tions? Pech gehabt, dann kommst du auch nicht ins „Klub­haus“ rein. Für mich hat das einen etwas faden Beigeschmack. Ich bin der Mei­n­ung, Club­house wäre auch ohne den elitären „Du-kommsch-hier-net-rein“-Ansatz ein Erfolg gewor­den.

Dass das nicht jed­er so sieht wie ich, musste ich bei zahlre­ichen inter­nen Diskus­sio­nen mit Flo­ri­an und Ursu­la fest­stellen. Als wir uns zur App aus­tauscht­en flo­gen ordentlich die Fet­zen. ???? Es zeigte sich mir aufs Neue: Die Aufre­gung um Club­house ist und bleibt ein kon­tro­ver­s­es The­ma.

Die Zukunft von Clubhouse

Noch gibt es keine konkreten Nutzerzahlen zu Club­house. Paul Davi­son, CEO der Plat­tform, ließ gegenüber CNBC (https://www.cnbc.com/2021/02/01/how-clubhouse-plans-to-make-money.html)  jedoch durchk­lin­gen, dass bere­its mehr als 2 Mil­lio­nen User das Social Net­work wöchentlich nutzen. Die Anzahl der tat­säch­lich reg­istri­erten User ist naturgemäß wahrschein­lich sog­ar höher – und wird weit­er­hin wach­sen. Des weit­eren pla­nen die Mach­er einen Abo-Ser­vice einzuführen. Speak­er haben damit kün­ftig die Möglichkeit, sich den Zugang zu ihren Gespräch­srun­den bezahlen zu lassen.

Die wichtig­ste Frage zum Schluss: Wird Club­house bald für jeden zugänglich sein? Darüber lassen sich nur Ver­mu­tun­gen auf­stellen. Wir glauben: Spätestens dann, wenn der erste Hype vor­bei ist, wird Club­house ein soziales Net­zw­erk für alle sein.